Chronik

Chronik der MS-Selbsthilfegruppe

Zusammengestellt von Manfred Seibert anlässlich des 25-jährigen Bestehens der MS-Selbsthilfegruppe Betzdorf-Hachenburg
In diesem Jahr kann die MS-Selbsthilfegruppe Betzdorf-Hachenburg auf ihr 25jähriges Bestehen zurückblicken. Ein Anlass, bei dem wir noch einmal die wichtigsten Ereignisse in Erinnerung rufen wollen, die zur Gründung und Weiterentwicklung der Selbsthilfegruppe geführt haben. Als Mitinitiator und Mitbegründer der Gruppe halte ich es für angebracht, nachfolgende Generationen die wichtigsten Stationen aufzuzeigen, die für die Gruppe von Bedeutung waren.  
  
Von den 17 MS-Betroffenen, die am 21. Mai 1985 bei der Gründungsversammlung anwesend waren, besuchen heute nur noch 4 die Gruppentreffen und Aktivitäten. Die anderen sind bereits verstorben oder so schwer erkrankt, dass ihnen die Teilnahme nicht mehr möglich ist. Auch die Angehörigen, die das Martyrium jahrelang miterleben mussten, sind heute von diesem Leidensweg schwer  gezeichnet und teils selbst auf Hilfe angewiesen.  
  
Vor ca. 35 Jahren wurde ich erstmals mit dem Begriff „MS“ konfrontiert, als ich berufsbedingt MS-Betroffene kennen lernte. Ich war schockiert von den Auswirkungen dieser Krankheit, denn mangels Früherkennung und unzureichendem Kenntnisstand war für die meisten der Leidensweg schon vorgezeichnet: sie waren bettlägerige Schwerstpflegebedürftige bis ans Lebensende. Keinen Gedanken hatte ich daran, dass ich selbst in weniger als 4 Jahren zum gleichen Personenkreis gehören sollte. Mit MS verbanden die meisten Menschen unwissentlich eine ähnlich lautende Abkürzung für ein Autoreifenprodukt. Noch heute hören wir oft: der oder die hat auch M+S (Bezeichnung für Matsch- und Schneereifen). Wir versuchen dann, den sich hinter der Abkürzung verbergenden Begriff klarzustellen. Der Zungenbrecher „Multiple Sklerose“ hat es ohnehin in sich und ist für viele Menschen nur schwer   auszusprechen. Noch schlimmer wird es bei der wissenschaftlichen Bezeichnung der Krankheit: „Encephalomyelitis disseminata“.
    
Zurück zur Gründung der Selbsthilfegruppe.
  
In der Zeit vom September 1979 bis Juni 1980 war ich wegen akuter Schübe und Erstmanifestation der MS ca. 7 Monate in Kliniken. Hier lernte ich andere Leidensgefährten kennen, die aus Nachbar-Bundesländern kamen und bereits Selbsthilfegruppen angehörten. Das wäre eine Herausforderung, der ich mich nach meiner evt. Wiedergenesung widmen könnte, dachte ich mir. Im Land Rheinland-Pfalz gab es zu dieser Zeit (1980) weder einen Landesverband noch eine Selbsthilfegruppe. 

So ergab sich, dass ich zuerst dem Landesverband Nordrhein-Westfalen angehörte und dann vom Landesverband Rheinland-Pfalz – am 14. November 1980 in Mainz gegründet – übernommen wurde. Als ich nach über einjähriger Arbeitsunfähigkeit meinen Dienst wieder aufnahm, wurde ich schon bald von MS-Betroffenen mit sozialrechtlichen Angelegenheiten konfrontiert. Im Jahr 1983 kam es dann zu mehreren Kontakten mit dem damaligen Geschäftsführer des Landesverbandes Rheinland-Pfalz, Stefan Fischer


Zu dieser Zeit waren mir etwa 10 MS-Betroffene aus dem Raum Betzdorf bekannt, so dass wir die Gründung einer Selbsthilfegruppe für die Region Betzdorf in Erwägung zogen. Wegen ständiger gesundheitlicher Rückschläge und der Planungen für ein eigenes behindertengerechtes Wohnhaus, konnte ich dieses Vorhaben zunächst nicht verwirklichen. Auch meine Mobilität ließ noch zu wünschen übrig, denn ich konnte noch nicht wieder allein Auto fahren.


1984 lernte ich Gustaf-Adolf Nierhaus kennen, dessen Ehefrau an MS erkrankt und zwischenzeitlich verstorben war. Nach dem Tod seiner Ehefrau war sein ganzer Lebensinhalt nur noch der selbstlose Einsatz für MS-Betroffene. Gleich beim ersten Gespräch folgte er meinem Ansinnen und regte die sofortige Gründung einer Selbsthilfegruppe für den Raum Betzdorf an. Was er in seinem neuen Heimatwohnsitz Westernohe für den Raum Rennerod-Westerburg bereits verwirklicht hatte, wollte er jetzt auch im Raum Betzdorf in Bewegung setzen. Spontan hatte er beim Landesverband Rheinland-Pfalz die Wege für die Neugründungen von Gruppen geebnet.


Dann hatte er alle ihm bekannten MS-Kranken aus dem Raum Hachenburg und dem Kreis Altenkirchen für Samstag, 21. März 1985 ins Bürgerhaus (Scholtzenhaus) nach Streithausen bei Hachenburg eingeladen. Vom Landesverband Rheinland-Pfalz waren die Vorstandvorsitzende Ursula Starlinger und Frau Dr. Pohl anwesend. Vorgesehen hatte Nierhaus je eine Gruppe für die Räume Altenkirchen, Betzdorf und Hachenburg. Nach einer Wahl wurde Werner Irle aus Oberwambach Leiter der Gruppe Altenkirchen-Hamm-Wissen. Mir wurde die Leitung der Gruppe Betzdorf anvertraut. Da sich für die Gruppe Hachenburg zunächst kein Gruppenleiter fand, wurden die Gruppen Betzdorf und Hachenburg vorerst zusammengelegt.


Einem Brief vom 27. Mai 1985 von Nierhaus an die Landesgeschäftsstelle in Mainz ist zu entnehmen, dass bei der Versammlung am 21. Mai in Streithausen 17 MS-Kranke mit Angehörigen – insgesamt 30 Personen – anwesend waren. Ein Gründungsprotokoll wurde nicht gefertigt.

Für eine vorübergehende Bleibe der beiden Gruppen Betzdorf und Hachenburg hatte Nierhaus auch schnell gesorgt: Die Gemeinde Friedewald war gerne bereit, die Räumlichkeiten der Bürgerhalle für die Treffen und Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. Was auch hier zunächst als Interimslösung vorgesehen war, entwickelte sich zum Dauerzustand. Die beiden Gruppen wuchsen immer mehr zusammen, weil auch in der Folgezeit kein Leiter für die Gruppe Hachenburg gefunden werden konnte. Die Gruppen trafen sich fortan an jedem 1. Mittwoch im Monat um 18:00 Uhr in der Bürgerhalle. 

Nierhaus übernahm anfangs die Aufgaben eines Sozialarbeiters. Er stand allen Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite. Leider verstarb er schon am 29. Mai 1986.


Eine große Herausforderung und ein starker Handlungsbedarf ergaben sich dann in der Notwendigkeit eines Besuchdienstes, der sich insbesondere den Betroffenen widmete, die krankheitsbedingt nicht mehr an unseren Aktivitäten teilnehmen konnten. Diese Aufgabe übernahm Ende des Jahres 1986 Jürgen Schlitt aus Gebhardshain, nachdem zuvor Verhandlungen mit verschiedenen Bewerbern an finanziellen Forderungen oder überzogenen Erwartungen gescheitert waren. 


Bis zum heutigen Tage leitet er mit großem Engagement unseren Besuchsdienst. Zunächst besuchte er die Betroffenen in regelmäßigen Abständen, auch in Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen, soweit diese in erreichbarer Nähe lagen. Durch die ständig steigende Zahl der Betroffenen widmet er sich seit einigen Jahren primär den Bettlägerigen und den Seniorenheim-Bewohnern. Zu den anderen Betroffenen hält er regen Brief- und Telefonkontakt.


Für die aufopferungsvolle Tätigkeit, die er in zeitlicher und finanzieller Hinsicht erbringt, gebührt ihm – und auch seiner Ehefrau Rita – ein großes DANK. Alle Besuche führt er unentgeltlich durch, und das sind bis heute bereits einige Tausend. 


Für seine Verdienste erhielt er am 03. März 2004 die Verdienstmedaille des Kreises Altenkirchen in Bronze.

Wiederholt sprachen sich die Gruppenmitglieder für den Verbleib in Friedewald aus, wenn der Tagungsort für unsere Gruppentreffen zur Disposition stand. Gründe für dieses Votum waren das vorzügliche Entgegenkommen der Gemeinde Friedewald, die behindertengerechten Räumlichkeiten in der Bürgerhalle und die Familie Spitza, die sich seit der ersten Gruppenstunde liebevoll um das Wohl der Betroffenen und Gäste sorgte.  Aus Altersgründen übergaben Spitzas am 01. Juli 2002 die Nachfolge an Magdalena Häbel aus Friedewald, die sich seither dieser Aufgabe mit der gleichen Umsicht, Disziplin und Sorgfalt widmet. Von den Gruppenmitgliedern wurde sie gleich ins Herz geschlossen. Wir wurden bzw. werden oft von anderen Gruppen, Gästen, Referenten usw. um dieses Servicepersonal beneidet. Sie sind in den 25 Jahren unseres Bestehens ein fast unverzichtbarer Bestandteil der Gruppe geworden.

Am 13. Februar 1987 wurde ich als Selbstbetroffener in den erweiterten Vorstand des DMSG-Landesverbandes Rheinland-Pfalz berufen. Das Vorstandsamt bekleidete ich bis zum 26. Juni 2006. Nachfolger in dieser Funktion wurde unser Gruppenmitglied Jürgen Becker aus Heimborn, der bis zum heutigen Tag dieses Amt inne hat. Auf Drängen der Westerwald-Gruppen nahm im Jahr 1987 eine Sozialpädagogin ihren Dienst auf: Petra Neust-Schönberger aus Quirnbach betreut als Angestellte des DMSG-Landesverbandes Rheinland-Pfalz die Selbsthilfegruppen im nördlichen Teil unseres Bundeslandes. Sie ist Bindeglied zwischen den einzelnen Gruppen und der Landesgeschäftsstelle und koordiniert deren Interessenlagen.

Seit 1990 hat auch unsere Selbsthilfegruppe eine eigene Schirmherrin. Petra Pfeifer-Lieber, die Ehefrau des Bürgermeisters von Betzdorf, war bis 2006 Schirmherrin. Nach dem beruflichen Wechsel ihres Ehegatten trat Sabine Schwan, Ehefrau der Bürgermeisters der Verbandsgemeinde Gebhardshain, im Jahr 2007 die Nachfolge an. Die Schirmherrin erfüllt im wesentlichen Repräsentationsaufgaben und ist insbesondere bei Spendenwerbungen für unsere Selbsthilfegruppe und die DMSG unverzichtbar.

Im Jahr 1991 wurde versuchsweise ein Faltblatt herausgegeben, das alle wichtigen Informationen aus dem MS-Krankheitsspektrum sowie organisatorische Daten der Dachverbände und unserer Gruppe enthält. Die medizinischen Erläuterungen in dem Beitrag „Multiple Sklerose – was ist das?“ oblagen bis zum Jahr 2003 Prof. Dr. med. Klaus Lowitzsch aus Ludwigshafen. Seit dessen Eintritt in den Ruhestand übernahm Dr. med. Dieter Pöhlau, Chefarzt der Kamillus-Klinik in Asbach, diese Aufgabe. Das Faltblatt wurde in der Folgezeit schnell zum Aushängeschild unserer Gruppe. Die Auflagen mussten in den Folgejahren verdoppelt und sogar Nachgedruckt aufgelegt werden. Durch die jährliche Aktualisierung werden dem Leser stets die neuesten Informationen mitgeteilt. Es dient auch der Legitimation, da es eine gewisse Seriosität vermittelt und dem Helfer oder Spender verdeutlichen soll, welche Gruppierung oder Organisation er unterstützt. Dankbar wird es auch von Helfern und Spendern gern gesehen, denn es enthält hierüber in besonderes Verzeichnis. Die Faltblätter werden bei Ärzten, Apotheken und öffentlichen Gebäuden unseres Einzugsgebietes ausgelegt.

Der Zufall wollte es, dass ich im Jahr 1996 die Bekanntschaft mit Siegfried Lukowski und seiner Ehefrau Heidrun machte. Sie gingen gerade einem ihrer zahlreichen Hobbys nach und drehten einen Videofilm in ihrer Heimatverbandsgemeinde Hachenburg. Nach einem Gespräch waren sie sofort bereit, über das ganze Jahr 1997 Filmbeiträge aus unserem Gruppenleben zusammenzutragen. Der Videofilm „Leben mit der MS“ fand eine gute Resonanz und war in der Folgezeit auch ausschlaggebend für größere Spendenaufkommen. Unabhängig davon entstand 1997 noch ein Filmbeitrag im Westerwald-TV über MS und unsere Selbsthilfegruppe unter Mitwirkung von Jürgen Schlitt.

Seit 1998 werden die Selbsthilfegruppen von einem Leitungsteam geführt. Dem derzeitigen Leitungsteam gehören folgende Personen an:
  
• Manfred Seibert (Gruppensprecher)
• Jürgen Schlitt (Besuchsdienst)
• Jürgen Becker
• Uwe Neumann
• Beate Weber
Als Ersatzmitglied:
• Maria Pferdmenges und Rudolf Sluiter 
  
Die gewählten Personen sind eng in die Gruppenführung einbezogen und übernehmen teils selbstständige Aufgabenbereiche. Das Leitungsteam trifft sich in der Regel vierteljährlich und bei Bedarf.

Unsere Treffen und Aktivitäten sind gut besucht, was auch darauf zurückzuführen ist, dass wir immer aktuelle Themen aufgreifen. Priorität in unseren Gruppenstunden besitzt die medizinische und soziale Beratung und Betreuung der Betroffenen. Es finden aber auch Kreativveranstaltungen statt. Einmal im Jahr veranstalten wir einen Rollstuhl-Wandertag mit Sommerfest oder einen Ausflug. Das letzte Treffen im Jahr, die Vorweihnachts-/Jahresabschlussfeier, wird von den Friedewälder Ortsvereinen unter der Federführung des Abendkreises der Evangelischen Frauen von Friedewald gestaltet.


Unsere Selbsthilfegruppe betreut derzeit 137 Betroffene. Sie ist damit die größte Gruppe im DMSG-Landesverband Rheinland-Pfalz. Der Einzugsbereich erstreckt sich über 2 Landkreise (Altenkirchen und Westerwald) mit insgesamt 6 Verbandsgemeinden und der Stadt Herdorf. Bedingt durch die weite Ausdehnung (ca. 70 km vom Kreis Siegen bis zum Kreis Neuwied) und den unterschiedlichen regionalen Strukturen, können wir nicht alle Betroffenen über die örtliche Presse erreichen. Außerdem kann über die Hälfte der Betroffenen krankheits- oder berufsbedingt nicht an unseren regelmäßigen Treffen und Aktivitäten teilnehmen. Deshalb entschlossen wir uns im Jahr 2001 eine gruppeneigenen Zeitschrift herauszugeben, damit auch diese Betroffenen und ihre Angehörigen an unserem Gruppenleben teilhaben können. Die Schriftleitung übernahm Siegfried Lukowski, der der Zeitschrift den Namen „GruppenInfo“ gab. Für die Gestaltung hatte er sofort einen immensen Ideenreichtum und unschätzbare Erfahrungswerte parat. Die Akzeptanz bei den Betroffenen war groß. Auch die Krankenkassen lobten unsere Initiative und honorierten das Projekt mit überdurchschnittlichen Fördergeldzahlungen. Die Zeitschrift, die nicht aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert wird, hat nach fast 10 Jahren einen kaum wegzudenkenden Stellenwert erreicht.

 Um mit den Fortschritten auf dem Informationssektor Schritt zu halten, haben wir seit Februar 2002 eine eigenen Homepage, die sehr gut besucht wird. Sie wird ständig aktualisiert und bietet insbesondere jugendlichen MS-Erkrankten eine Möglichkeit, sich aktuelle Informationen zu beschaffen. Die Besucherzahlen steigen in den letzten Jahren in einer vierstelligen Größenordnung. Unsere Internetadresse lautet: www.shg-betzdorf-hachenburg.de.
  
Um den Stand und das Niveau der Gruppe zu halten und ggf. zu verbessern, sind große Anstrengungen erforderlich. Seit mehreren Jahren versuchen wir, junge MS-Betroffene für unsere Arbeit und Ziele zu interessieren. Aber wie auch in anderen Vereinen und Organisationen zu beobachten, flüchten die Jugendlichen vor der Übernahme von Aufgaben und Verantwortung.
  
Wir bieten nach wie vor unsere Hilfe und Unterstützung an, damit unsere soziale Aufgabenstellung und der Fortbestand der Gruppe gesichert ist.
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